Der Bauerschaftslehrer oder sogenannte Nebenlehrer im Bentheimischen

 

 

 

 

 

Die Kinder mußten es oftmals erdulden.

Im folgenden Text, der 1907 in der Zeitung und dem Anzeigeblatt Grafschaft Bentheim erschienen ist, erhält man einen Einblick in das Leben eines Lehrers vor über 170 Jahren, als der Lehrer von den Gemeinden, in denen er unterrichtete, bezahlt werden mußte.

 

Abgedruckt 1907.04.06. Zeitung und Anzeigeblatt Nr. 2 Quelle: Privatarchiv Hesselink

 

 

Ein Lehrerleben im Jahre 1849 in der Niedergrafschaft Bentheim, als diese zum Königreich Hannover gehörte (1813-1866)

 

(aus einem Schriftstück aus dem Jahre 1849, dass von einem Nebenlehrer G. in H. in der Niedergrafschaft Bentheim verfasst worden ist)

 

Der Bauerschaftslehrer oder sogenannte Nebenlehrer im Bentheimischen

 

Der gehorsamste Untertan im Hannoverschen Lande ist der Bauerschaftsschullehrer oder Nebenlehrer in der Grafschaft Bentheim. Nicht nur der Behörde, sondern hauptsächlich den Bauern muss er stets ein untertäniger Diener sein. Er darf sich nicht einmal erlauben, von einer Verbesserung seiner Lage und von seinen Rechten zu sprechen. Tut er das, so kommt er mit seiner Gemeinde in Streit und läuft Gefahr, abgedankt zu werden. Wird er beschimpft oder beleidigt, so darf er aus Furcht vor Absetzung sich kaum mündlich wehren, geschweige sein Recht suchen. Ob er seine Vorgesetzten um Hilfe anruft, das fruchtet nicht; sie können ihn nicht schützen, wie gern sie auch wollen. Wieso? Sie haben keine Macht dazu, weil fast kein Nebenlehrer geprüft und destintiv angestellt ist.

 

Die Bauern lassen ihn so weit nicht kommen. Sie kündigen ihm seinen Dienst, sobald er sich zum Examen meldet. "Wir wollen den Lehrer in unserer Macht behalten und mit ihm tun können, was uns beliebt," sagen sie. Und wirklich handeln sie auch ganz nach Willkür mit ihm. Sie dingen ihm nicht selten eine Viertelstunde von der Schule eine Schlafstelle und heißen ihn von da des Morgens noch manchmal eine halbe Stunde zu entlegenen Bauernhöfen zu gehen, um das Morgenbrot zu holen. Ist er vor dem Hause angekommen, so ruft ihm der Knecht, der noch auf der Diele an der Schneidlade steht, schon halb im Scherze zu: „Du bist wieder da und hast schon Appetit? Und hast noch gar nicht gearbeitet?“ - Solches scheinbar nicht achtend geht er wieder bis in die Küche und setzt sich ans Feuer. Schon schlägt die Glocke neun und noch immer ist sein Essen nicht fertig. Er sieht sich deshalb gedrungen, die Hausfrau auf die Zubereitung seines Brotes aufmerksam zu machen. Nachdem er dies zwei- oder dreimal getan, beeilt sie sich, stößt den Kaffeetopf ins Feuer, schneidet das Roggenbrot und bereitet ihm so eine dürftige Mahlzeit. Wenn diese fertig ist, setzt er sich und isst. Kaum hat er den letzten Bissen im Munde, da schlägt die Glocke halb zehn. Er steht auf und geht, weil es schon die Schulstunde ist. Wahrlich, die Morgenstunden sind ihm keine goldenen Stunden.

 

Mittags und Abends muss er zu eben demselben Bauer, wenn er was zu Essen haben will. Besonders ist der Abendreihentisch für ihn unangenehm; ja sogar seiner Gesundheit nachteilig. Unangenehm ist es deshalb, weil der Lehrer nach dem Essen mit den Dienstboten und Tagelöhnern den Kreis ums Feuer bilden und sich mit ihnen in allerlei geschwätziges Gespräch einlassen muss. Sträubt er sich dagegen, so fehlt es nicht an Schimpfworten. - Der Gesundheit nachteilig ist für ihn der Abendreihentisch in den Herbst- und Wintermonaten bei Regen und Schneewetter. Fast alle Abende kommt er dann mit nassen Füßen in sein Schlafzimmer zurück. Um ihn bekümmert sich da im Hause niemand. Das können diese Leute auch nicht. Für die geringe Belohnung, welche sie nur für das Nachtquartier desselben erhalten, können sie sich keine Mühe gefallen lassen. Unverschämt würde es deshalb auch von ihm sein, wenn er ihre Hilfe jeden Abend in Anspruch nähme.

 

Sehr kümmerlich muss sich also der Nebenlehrer das ganze Winterhalbjahr hindurch in seiner Bauernschaft herum quälen, jeden Tag nach einem anderen Hause. Das bezieht sich besonders auf die Niedergrafschaft; in der Obergrafschaft hat er es nach seiner Meinung etwas besser. Da ist er schon froh, das er da vierzehn Tage, auch wohl drei bis vier Wochen nacheinander bei einem Bauer wohnen kann, ungeachtet er sehr oft mit dem Knechte oder Schäfer in einem Bette schlafen muss.

 

Aber wie steht es denn mit ihm im Sommerhalbjahre? Noch schlimmer. Er ist dann gar kein Lehrer. Ehe die Maisonne ihre Strahlen geworfen, werden die Kinder zu Hause behalten und er in die Welt hinein gejagt. Was tut er dann? Dann geht er zu seinen Eltern, wenn er solche hat und hilft ihnen bei ihrer Feldarbeit oder sonstigen Tätigkeiten. Kann er das öfters nicht, wie leicht zu denken ist, so legt er sich auf ein anderes Fach und arbeitet nicht selten als Schuster, Weber, Schmied, Zimmerer oder Mauerarbeiter oder geht nach Holland um sich da einige Groschen zu verdienen. Auch treibt er wohl Viehhandel. Erst mit Oktober, wird er wieder gefragt und gedungen. Gedungen oder gemietet wird er jedes Jahr und zwar für den geringen Lohn von nur einem Stüber für jedes in die Schule gehende Kind. Während es nicht zur Schule kommt, erhält er davon auch nichts. Dem zufolge müssen täglich 36 Kinder die Schule besuchen, wenn er einen Verdienst wie der geringste Tagelöhner haben soll; denn der niedrigste Tageslohn ist hier 36 Stüber für die Woche.

 

Es ist als fest anzunehmen, dass in einer Bauernschaft, wo 45 schulpflichtige Kinder sind, durchschnittlich nicht mehr als 36 in die Schule gehen. Diese Anzahl könnte bei weiten so hoch angeschlagen werden, wenn im Winter keine Kinder über und im Frühjahre unter dem schulpflichtigen Alter die Schule besuchen. Was verdient nun jährlich der Nebenlehrer im Bentheimischen? Wie gesagt, in einer Gemeinde von 45 schulpflichtigen Kindern, wöchentlich im Durchschnitte 36 Stüber, also im Ganzen 26 bis 30 Taler; Ein Gehalt über 40 Taler kann er fast nirgends bekommen, dagegen erhält er auf manchen Stellen nur 10 bis 12 Taler und noch weniger.

 

Wann und worauf kann der Lehrer sich nun noch freuen? Vielleicht in der Unterrichtszeit auf eine bessere Zukunft? Das sollte man sagen. Man sollte meinen, er sei froh, dass er Gelegenheit habe, das Volk gebildeter und gesitteter zu machen und folglich sich selbst eine bessere Zukunft vorzubereiten. Wer das aber glaubt, der täuscht sich sehr. Es fehlt ihm dazu beides: die Zeit und der Wille des Volkes. Was die Zeit, in welcher er Schulunterricht geben kann, betrifft, so ist dieselbe viel zu kurz, um darin gute Fortschritte machen zu können. Morgens wird es zehn Uhr, ehe alle Kinder beisammen sind, und, da der Unterricht um 12 Uhr beendet sein muss, dauert derselbe nur 2 Stunden. Längere Zeit hat er des Nachmittags auch nicht. Was kann er unterdes tun, da er außerdem noch in zwei Sprachen, in der holländischen und hochdeutschen, allen Unterricht erteilen muss. Hätte er auch Zeit, den Kindern gemeinnützige Kenntnis und Moral beizubringen, so wäre dies doch gegen den Willen des Volkes. Der Bauer sagt: aller Unterricht muss Religionsunterricht sein; die Kinder sollen den ganzen Tag in dem Katechismus und in der Bibel lesen. Wie der Lehrer sich darnach fühlen muss, ist leicht zu ermessen. Drum kann er sich niemals und auf nichts freuen.

 

Er ist mit einem Worte gesagt, bedauernswert.

 

Aufgeschrieben im Juli 1849