Zum Torfstechen ins Tinholter Venn

 

Beispielfotos


 

348 Torfstichberechtigte in Uelsen und Umgebung/1937 wurde das „Tinholter Venn“ enteignet

Aus der Zeitungsbeilage „Der Grafschafter“ vom April 1959 von Willy Friedrich

 

Wir haben uns schon wiederholt mit der Kultivierung und Besiedlung der heimischen Moore und Oed Ländereien beschäftigt. Heute soll dieses Thema wiederum im Mittelpunkt einer kurzen Betrachtung stehen.

Diesmal lenken wir unsere Aufmerksamkeit auf das rund 600 Hektar große sogenannte Tinholter Venn, auf jenes 1,5 mal 4 Kilometer messende Gebiet also, das ostwärts der von Wilsum nach Emlichheim verlaufenden Bundesstraße 403 liegt. Vor sechs Jahren ungefähr zitterte dort der moorige Boden. Schwere Ottomeyer-Pflüge brachen das Gelände um. Und heute grünt dort eine junge, frische Saat, wo sich einst Wollgrasflöckchen im Wind bauschten. Trecker rattern über die das gesamte Gebiet erschließenden Wirtschaftswege und leichten Straßen. Ein schönes Naturreservat mit einer wertvollen Fauna und Flora ging dem Naturfreund, ging unserer Heimat verloren, verschwand in dem großen Schmelztiegel einer Zeit, die den geradezu schicksalhaften Landhunger vieler Menschen stillen muss.

Bis vor etwa zwei Jahrzehnten durften die Ackerbürger von Uelsen und Umgebung in Tinholt ihren Torf stechen. Allerdings handelte es sich dabei nicht um die dicken, schwarzbraunen Brote, wie wir sie in anderen Mooren vorfinden. Nein, hier hatte der Brenn-Rohstoff nur eine Mächtigkeit von 20 bis 50 Zentimeter aufzuweisen. Das Produkt der mit dürren, wilden Gräsern und sparsamer Erika bestandenen Parzellen waren die „Hüllen“, die mit dem Spaten flach abgestochen werden mussten, wenn man sie Sand frei gewinnen wollte.

Ganze Scharen zogen früher von Uelsen aus ins Tinholter Venn. In den frühen Morgenstunden, wenn die Sonne noch seelenruhig am milchig grau verhangenen Horizont schlief, marschierten die Torf- und Hüllenstecher über Hardinghausen, durch die Wilsumer Berge, vorbei an glasklar zu Tal plätschernden Becken zu den Stichflächen. Mit blanken, haarscharf geschliffenen Spaten und starken Armen gingen sie ans Werk, dort, wo der Birkhahn balzte und der Kiebitz sein kiewitt laut und grell über die tellerflache Weite schrie.

160 Torfstichberechtigte verzeichnete man allein in Uelsen. 188 wohnten darüber hinaus in den benachbarten Bauernschaften Höcklenkamp, Bauerhausen, Gölenkamp, Haftenkamp, Hardingen, Binnenborg, Hilten und Hardinghausen. Dies geht aus einer alten, bis in das Jahr 1752 zurückreichenden Akte hervor, die sich im Besitz der Gemeindeverwaltung Uelsen befindet. Verstaubt und vielleicht auch vergessen hielt sie in einem Regal auf dem Rathause den „Dornröschenschlaf“. So, wie das Tinholter Venn durch dröhnende Lokomobile, stampfende Pferdehufe und blubbernde Trecker erweckt wurde, hat auch sie vor kurzem in die Gegenwart Eingang gefunden.

Vor einiger Zeit wurde das Gespräch um die alten Torfstichrechte in Gang gebracht. An jenem Tage nämlich, als die Markengemeinde Kalle-Tinholt beim Amtsgericht in Neuenhaus die Auszahlung eines auf Sperrkonto hinterlegten, aus dem 1939 abgewickelten Enteignungsverfahrens des Oberpräsidenten in Hannover stammenden Grundstücksentschädigung beantragte. Insgesamt wurden 19274 Mark deponiert. Das ist der vom Vater Staat zugestandene Betrag für die Torfstichberechtigten. Seiner Zeit hat man diese Summe nicht anerkennen wollen. Das Enteignungsverfahren konnte aber auch durch derartige „Gegenmaßnahmen“ nicht mehr gestoppt werden.

In den Jahren von 1930 bis 1938 arbeiteten die Behördenstellen mit den auch heute noch gültigen Argumenten: „Wir brauchen Land, Grund und Boden für siedlungswillige Landsleute!“ Ihnen wollte man eine Existenzgrundlage schaffen, Zweifellos ein guter, von hohen Idealen getragener Gedanke. Seine Verwirklichung und damit die Praxis ließen jedoch einige Wünsche offen. Das Eigentumsrecht, ein Grundrecht jedes Menschen, wurde mehr oder weniger mit Füßen getreten. Daran konnte auch Bürgermeister Friedrich Hölters nichts ändern, obwohl er durch wiederholte Eingaben versuchte, für die Gemeinde Uelsen und die Nachbar Bauerschaften zu retten, was noch zu retten war. Am 9. August 1939 rechtfertigte die Gemeinde Uelsen ihren ablehnenden Standpunkt und untermauerte ihn noch einmal auf Grund der Tatsache, dass bereits 1752 in einem Edikt die Rechte der torfstechenden Ackerbürger garantiert waren. Der Enteignungsbeschluss stützte sich auf den Paragraphen 44 des Enteignungsgesetzes vom 11. Juni 1874.

Noch im Jahre 1834 hatte Bürgermeister Aschendorf in Uelsen von dem „ungestörten, ruhigen Besitz der Rechte des Torfstichs in der Kalle-Tinholter Mark“ gesprochen. Bestehende Meinungsverschiedenheiten wurden nach einem Protokoll vom 12. August 1845 zwischen den Berechtigten geschlichtet. Zu diesem Zweck trafen sich folgende Bauernschulzen auf dem Rathause in Uelsen: Tinholt = Vos, Kalle = Schultze zu Arkel, Bauerhausen = Meyerink, Wilsum = Bispink, Hardingen = Reurik, Lemke = Bekman, Hilten = Monshouer, Gölenkamp = Schultze zu Gölenkamp, Hardinghausen = Velthuis, Haftenkamp = Slatman, Butenborg = Gosselink, Uelsen = Bürgermeister Wedekind.

Im Beisein des Amtsvogts Brill aus Neuenhaus wurde ein Punkt nach dem anderen behandelt. Unter anderem standen dabei auch Fragen der Entwässerung und des Wegebaues zur Aussprache. Erneut wurden die Interessen in einem Rezess abgesteckt.

Allein diese Tatsachen genügten nicht, um den Enteignungsbeschluss abzuwenden oder gar rückgängig zu machen. Hin und her flatterten Verfügungen, Eingaben und Beschwerden. An den Gegebenheiten änderte sich nichts!

Dann kam der Krieg 1939-1945. Und 1948 wurde die Entschädigungssumme durch die Entwertungsmühle der Währungsreform gedreht. Ihre Auszahlung wird zur gegebenen Zeit zu dem gesetzlich bemessenden Aufwertungsbetrag von 6,5 Prozent erfolgen. Die Torfstichberechtigten möchten ihre finanziellen Rechte gesichert wissen.

Derweil bereiten die Siedler in Kalle-Tinholt ihren jungfräulichen Boden für eine neue Saat vor.