Lehrjahre sind keine Herrenjahre/Johann Diek erinnert sich
Aus dem Buch der Gemeinde Uelsen aus dem Jahre 1981 von Willy Friedrich
Dies ist ein kleiner Ausschnitt aus der Jugendgeschichte eines inzwischen hochbetagten Bürgers unserer Gemeinde:
Der Kaufmann Johann Diek erinnert sich: Er ist 1899 geboren und drückte von 1905 bis 1913 in Uelsen die Schulbank. Einer seiner Lehrer war der legendäre „Mester“ Körner. Alteingesessenen gut bekannt, ein tüchtiger Schulmann, aber auch ein Original, das nicht zimperlich mit seinen Schülern umging. Manche Anekdote gibt es heute noch aus diesen längst vergangenen Tagen.
Johann Diek, „upn Brink“ erblickte er das Licht der Welt, kam als Schulentlassener bei Kaufmann Georg Weersmann an der Itterbecker Straße (2021 Bereich Architekturbüro Klever bis 2 Gebäude vor Gaststätte Rosenthal) in die Lehre. Ob seiner Größe und seines vielgestaltigen Angebots handelte es sich bei der Firma Weersmann um ein „ländliches Kaufhaus“. Vom Hosenknopf über Butter und Eier bis zum Kunstdünger konnte der Kunde alles kaufen.
Kaufen?
In damaliger Zeit wurde mehr getauscht als gekauft. Früher gab es noch keine Molkerei. Auf den Höfen wurde die Milch zu Butter verwertet. Kaufmann Weersmann kaufte die Butter auf, verarbeitete sie und setzte sie wieder ab.
Für die Verarbeitung stand in seinem Keller eine Knetmaschine. Mit ihr wurde der Butter vor allem der in der Regel hohe Wasseranteil entzogen. Dann hatte das Personal die Aufgabe, Neun-Pfund-Pakete zu packen. Auch wurde Butter damals in Fässern verschickt. Die Holzfässer lieferte der Böttchermeister Wolterink aus Neuenhaus. Für ein Pfund Butter bekamen die Kuhhalter 80 bis 90 Pfennig (das waren noch Zeiten!)
Nicht selten hatte die Bauernbutter einen Stich. Mit anderen Worten: Sie war ranzig oder „stark“, wie man plattdeutsch zu sagen pflegte. Kein Wunder, dass die Abnehmer (zum Teil gingen die Sendungen bis nach Schlesien!) die Ware zurückschickten. Das bedeutete für Weersmann ein empfindlicher Verlust, mit dem er irgendwie fertig werden musste.
Johann Diek weiß noch, dass die Knollenzeit, also die Periode, in der den Kühen Futterrüben vorgeworfen wurden, es „in sich“ hatte: Immer wieder gab es in den „Knollenmonaten“ ranzige Butter.
Das „Kaufhaus“ Weersmann war auch Eier-Umschlagplatz. Ein Ei kostete vier bis fünf Pfennig. Die Ware wurde in großen Holzkisten verpackt. Seegraseinlagen sorgten dafür, dass nicht allzu viel Eier zu „Knickeijern“ wurden. Die Kunden aus dem Dorf kauften kaum Eier, weil sie fast alle selbst ihre Hühner „achtert Hus“ hielten.
Zwischen Weihnachten und Neujahr verzeichnete das Haus Weersmann Umsatzrekorde. Dann gingen die jungen Leute „hen Kooken“. Und ihre Eltern nahmen die Gelegenheit wahr, die warme Winterwäsche aufzufrischen oder zu vervollständigen.
Um die Weihnachtszeit kauften die Bauern aus dem Kirchspiel das Weizenmehl gleich sackweise. Hundert Pfund kosteten 16,50 Mark. Hinzu kam in der Regel ein großer Topf Sirup. Mehl und Sirup waren unentbehrlich für die zu backenden „Schohsollen“ (rechteckige Neujahrskuchen).
Um die Weihnachts- und Neujahrszeit mussten die Kunden, die ja oftmals vom Sitzen auf dem Wagen oder in der Kutsche durchgekühlt waren „anschicken“. Dann zeigte sich der Geschäftsmann spendabel. Das war aber nicht nur bei der Firma Weersmann, später Perlewitz, ein schöner Brauch, sondern auch in anderen Geschäften des Dorfes selbstverständlich. Johann Diek hat es erlebt, dass an einem Tage mehrere Weißbrote zerschnitten und gemeinsam mit „Beschüten“ (Zwieback) , weißem und braunem Zucker auf den Tisch kamen. Ein überdimensionales Stück Butter (ne heele grote Botter!) gehörte dazu. Überdimensional deshalb, damit die bäuerlichen Gäste nicht das Gefühl haben brauchten, die Butter dünn aufs Brot streichen zu müssen.
Stoffe wurden in jenen Tagen durchweg noch per Elle verkauft. Die Verkaufszeit lag zwischen 7 und 21 Uhr.
Auch Kunstdünger und Futtermittel führte das „Kaufhaus“ Weersmann. Ein Haupt-Kraftfutter war der Ölkuchen (Ölliekooke).
Es gab viele Bauern, vor allem in der Moorgegend, die für Lebensmittel Torf lieferten. Ein Fuder brachte ihnen fünf oder sechs Mark ein. Sie transportierten das Brennmaterial mit dem Pferdewagen aus dem Itterbecker-, Geteloer- oder auch aus Balderhaarmoor nach Uelsen.
Das „Kaufhaus“ Weersmann war bezüglich der abendlichen Beleuchtung seiner Zeit voraus: Es gab kein elektrisches Licht, dafür hatte man aber eine zentrale Karbidbeleuchtung. Hinter dem Hause stand der große Karbidkessel, der kurz vor Einbruch der Dunkelheit „auf Volldampf“ gebracht wurde. Dann zündete der Lehrling Diek in den Geschäftsräumen die Karbidlampen an. Von Zeit zu Zeit musste der Kessel draußen überprüft und nachgefüllt werden, weil sonst die Lichter plötzlich ausgingen.
Freie Nachmittage oder Stunden gab es für den Lehrling unmittelbar nach der Jahrhundertwende nicht. Im Gegenteil, sonnabends musste nach Geschäftsschluss noch der Laden geschrubbt werden. Feierabend war dann meistens erst gegen 22 oder 23 Uhr.
Mit Gemüse und Fisch wurden die Bürger des Dorfes seiner Zeit von dem „fliegenden Händler“ Meyer aus Hardenberg versorgt. Er kam regelmäßig mit seiner von zwei Hunden gezogenen Karre über die Grenze und bot seine Waren mit humorvollen Sprüchen feil. Auch hier ein interessanter Preisvergleich: Ein „Ströaken“ Bücklinge (12 Stück aufgereiht) kostete 50 Pfennig. Johann Diek hat sich später in harter Arbeit eine eigene Existenz aufgebaut. Seine Lehrjahre waren schwer und mit den heutigen Verhältnissen überhaupt nicht zu vergleichen. Sie waren keineswegs Herrenjahre! Trotzdem möchte er diese Jahre in seinem Leben nicht missen.