Das Leben in den 1950er Jahren in Uelsen

Erinnerungen von Christel Hömberg geborene Husemann, der ältesten Tochter von Büters Johanne.

 

Auf der rechten Bildseite von vorne: Textilgeschäft Diek, Häuser Kip und Wolf-Büter, Werkstatt Reinders, Geschäft Reinders, Friseur Spalink. Vom Kirchturm nach rechts oben Gaststätte Vorrink und Tischlerei Holsmölle (früher Gasthof Kloppenburg). Vorne im Bild die Tankstelle Kubiki, nach links Schuhhaus Willering und dahinter Uhrmachergeschäft Kohlmann.

 

 

Aufgewachsen bin ich in Uelsen in dem alten Ackerbürgerhaus meiner Oma, bei Büters Dina, mitten im Dorf im Schatten der Kirche. Uelsen war ein kleines beschauliches Dorf mit Kopfsteinpflaster und schmalen Straßen. Es gab viele kleine Lädchen, oft wurde aus einem oder mehreren Zimmern ein Laden gemacht. Unser Nachbar Diek hatte schon einen ziemlich großen Laden. Dort konnte man alles, was mit Textilien zu tun hatte, kaufen.

 

Eine Geschichte werde ich nie vergessen. In der Küche meiner Oma stand wie bei vielen Familien, die „Kochmaschine“ – der Küchenherd – unter einem Bosem, einem Rauchabzug. Auf dem Bosem standen Teller und anderes Geschirr und um den Bosem kam ein „Bosemkleedken“, ein steif gestärktes weißes, gekräuseltes Stück Stoff. Diese „Bosemkleedken“ konnte man bei Diek kaufen.

Inge Diek, jung verheiratet, war mit der plattdeutschen Sprache noch nicht so vertraut. Und als ein Bauer nun ein neues „Bosemkleedken“ kaufen wollte, stellte Inge ihm den Karton mit Büstenhaltern hin. Verdutzt klärte der Bauer Inge auf. Ich sehe sie heute noch lachen und auch der Bauer konnte schmunzeln. Aber Inge wusste von da an, was ein „Bosemkleedken“ ist.

 

 

 

 

 

Vorne rechts Lebensmittel Heemann (Zucker Heemann), Haus Borggreve und Schlachterei Hesselink. Vor dem Baum auf der linken Seite die Bäckerei Hendriks (später Neekamp).

 


Im Winter, wenn wir durchgefroren vom Spielen nach Hause kamen, setzten wir uns vor den Herd und steckten die Füße in den Backofen. Mein Großvater hat einmal dabei den Kuchenteig erwischt, der zum Backen im Ofen stand. Unsere Lebensmittel kauften wir bei Zucker Heemann, nicht zu verwechseln mit Sattler Heemann, der Lederwaren verkaufte und auch Matratzen aus Seegras herstellte. Oder wir gingen nach Hendriks, das war ein Stückchen weiter, ebenfalls an der Wilsumer Straße. Hendriks hatten eine Bäckerei hinter dem Haus, wo Kuchen und Brote gebacken wurden und es war sehr interessant, zu sehen, wie der Bäcker mit riesigen Schiebern hantierte. Die Lebensmittel wurden noch einzeln abgewogen und in Tüten verpackt. Bei Hendriks stand im Schaufenster eine kleine Tänzerin, die auf einem Spiegel tanzte und nie aufhörte – faszinierend für mich.

 

Wurst und Fleisch gab es bei Hesselink und das Schwein, das im Laden in einzelne Stücke zerteilt verkauft wurde, hatte der Schlachter ein paar Tage zuvor von der Viehwaage hinter dem alten Rathaus geholt und mit einem kleinen Stöckchen an unserem Haus vorbei ins Schlachthaus getrieben – zur Empörung meiner Schwester. Die wollte, dass meine Mutter zum Schlachter geht und ihm sagt, dass er das Schwein nicht „hauen“ darf. Bei Hesselink im Ladenfenster war ein Rollo mit einem Schweinskopf drauf und wir haben mal einer Frau, die nach dem Weg fragte, diesen so erklärt „Das ist da, wo das Schwein im Fenster hängt“.

 

Textilgeschäft Diek

 

 

Gaststätte und Bäckerei Vorrink

 

 


Wenn irgendwo eine Hochzeit stattfand, drückte man uns Kindern ein Kärtchen oder eine Blume in die Hand und wir mussten diese dann in die jeweilige Gastwirtschaft bringen, bekamen ein Stück Kuchen als Lohn auf die Hand und waren zufrieden. Süßigkeiten waren selten. Ich habe bei Zucker Heemann mein erstes Stück Schokolade angeboten bekommen und es abgelehnt, weil ich so etwas nicht kannte. Ich mochte lieber Butterbrote mit Mettwurst und Schinken.

 

Die bekam ich auch, wenn wir mal bei einem unserer „Trinkebauern“ waren. „Trinkebauern“ waren die Bauern, die zwischen dem Morgengottesdienst und dem Nachmittagsgottesdienst bei Familien in Uelsen die Zeit verbrachten. Sie aßen dort ihre mitgebrachten Brote, von dem mitgebrachten Kaffeepulver wurde von den Wirtsleuten Kaffee gekocht und es wurde viel geredet. Bei uns saßen diese Bauern in der großen Küche, es roch nach Kuhstall und Mottenpulver, es wurde nur „Platt“ gesprochen. Dort hat auch mein Vater seine wenigen Plattdeutschen Worte her. Mit „Is de Koffie kloar?“, „Moij Weer vandaqage“, „Heff geen Tijd“ und „Wat kosten de Biggen?“- damit war sein plattdeutscher Wortschatz erschöpft. Aber verstehen konnte er alles.

 

Rund um die Kirche gab es einige Gaststätten, Rosenthal, Helbos, Hölters und nicht zu vergessen: Vorrink. Dort, in dem kleinen Laden, gab es Backwaren und Eis – eine Kugel für 10 Pfennig. Manchmal, an einem ganz heißen Sommertag, durfte ich mir eine Flasche Coca Cola holen, lecker, nicht so süß wie heute – einfach nur herrlich.

 

An manchen Tagen radelte Gemeindediener Pamann durchs Dorf, hielt an, klingelte mit einer großen Glocke und sagte den Satz: „Die Gemeinde gibt bekannt…“. Und dann kamen die neuesten Nachrichten. Besonders für uns Kinder interessant war die Ankündigung, dass die „Filmbühne Ströhmer“ im Saal bei Hölters einen Film vorführte. Ganz ungeduldig warteten wir, dass wir in den Saal konnten, saßen dort auf Stühlen und verfolgten die Filme, als Vorfilm immer die „Fox tönende Wochenschau“ mit Nachrichten aus aller Welt. Mit ist besonders der Film „Bambi“ in Erinnerung.

 

Bei Helbos im Saal fand in der Weihnachtszeit immer die Weihnachtsfeier des VDK statt und meine Oma nahm mich mit dorthin. Fasziniert verfolgte ich den Darbietungen und zu der Zeile des Liedes „Am Weihnachtsbaum die Lichter brennen“, die da heißt: „Zwei Engel sind hereingetreten, kein Auge hat sie kommen sehn“, kamen aus einer Seitentür zwei Engel mit brennenden Kerzen singend in den Saal, gingen zum Weihnachtsbaum, drehten sich um und verschwanden wieder durch die Tür. Immer noch sehe ich dieses Bild vor mir, wenn ich das Weihnachtslied höre.

 

In der schulfreien Zeit spielten wir miteinander, mit Hanna Wolterink probierten wir im Büro ihres Vaters alle Stempel durch und irgendwann wurden wir entdeckt und an die Luft gesetzt. Oder wir spielten „Mensch ärgere Dich“ oder andere Spiele. Bei uns hatte das Spiel keine Spielfiguren, es wurde mit Knöpfen gespielt. Die Figuren waren Opfer einer Ziege geworden.

 

Als meine Mutter und ihre Geschwister noch Kinder waren, wollten sie mal ein Spiel spielen. Mein Onkel Gerhard holte den Karton mit dem Spiel und musste mal kurz aus der Buxe (zur Toilette gehen). Da der Weg zum Plumpsklo hinter dem Haus lang war, ging er zum Pipi machen in den Ziegenstall, der sich auf der Diele befand. Das nahm die Ziege ihm übel. Sie stieß ihn mit dem Kopf in den Rücken. Mein Onkel nahm den Karton und schlug der Ziege damit auf den Kopf. Der Karton öffnete sich, die Figuren fielen in den Mist und seitdem wurde mit Knöpfen gespielt. Der Spielfreude tat das aber keinen Abbruch und neue Figuren wurden auch nicht gekauft. Es ging ja auch so.

 

Weihnachten wurde immer sehnsüchtig erwartet, aber es war nicht so überladen wie heute. Bei Reinders im Fenster wurde viel Spielzeug aufgebaut und eine Eisenbahn fuhr im Kreis, bei Vorrink gab es Hexenhäuschen zu kaufen und in allen Familien wurden Plätzchen gebacken und bei uns natürlich Stollen, den mein sächsischer Vater so liebte. Wir Kinder konnten den Heiligabend nichterwarten und am 1. Weihnachtstag besuchten wir uns gegenseitig, um die neuen Spielsachen zu zeigen. Immer und überall sah man die Kirche, hörte den Schlag der Turmuhr oder das Geläut der Glocken. Noch heute ist es ein schönes Gefühl, wenn man sich Uelsen nähert und der Turm der Kirche auftaucht – egal, aus welcher Richtung man kommt. Oder wenn ich bei einem Besuch in Uelsen um 12 Uhr das Geläut der Glocken hören kann.